Portraitfoto Barbara Mutzbauer
Interview mit Dr. phil. Barbara Mutzbauer (Teil 2)

«Tageslicht ist die Umgebung, die wir brauchen»

Dr. phil. Barbara Mutzbauer ist renommierte Kreative und unterrichtet Atmospheric Design und Living Space Design an der Zürcher Kunsthochschule sowie Spatial Design an der HSLU Design Film Kunst. Sie spricht mit uns über den Einfluss von Tageslicht und unser Bedürfnis nach einem Blick ins Freie.

(Portraitfotos © Ivan Engler)

Frau Mutzbauer, Sie gelten als Botschafterin für Atmosphäre und gestalten als Creative Director täglich einladende Räume. Wie beeinflusst Tageslicht die Stimmung eines Raums?

Licht ist Stimmung! Gerade die Veränderung der Lichtverhältnisse macht die sehr deutlich. Nehmen Sie sich einmal morgens, während des Sonnenaufgangs die Zeit, den Raum, in dem Sie sich befinden, bewusst wahrzunehmen. Wenn Sie die Veränderung der Farben, Schatten und Reflexionen beobachten, bis die direkten Sonnenstrahlen durch das Fenster scheinen und die Oberflächen erhellen, dann werden Sie sehr wahrscheinlich merken, wie Sie selbst immer wacher werden. Und meist stimmt uns diese kleine Übung auch positiv, hellt also auch unser Gemüt auf. Auch künstliches Licht kann uns in ästhetischer Hinsicht faszinieren, wie wir zum Beispiel von Theaterinszenierungen, aus Ausstellungen oder von spektakulär beleuchteten Fassaden wissen.

Doch das Tageslicht ist für uns etwas Besonderes, denn es enthält das gesamte Farbspektrum und ist insgesamt am stärksten, auch bei bedecktem Himmel. Licht und Stimmung, sowohl die wahrgenommene als auch die eigene, hängen eng miteinander zusammen. Sie kennen sicher das Gefühl, wenn man sich zur Sonne wendet und genüsslich die Augen schliesst. Das ist ein ganz intuitives Verhalten, das aber schon etwas darüber aussagt, wie gerne wir Sonnenlicht aufnehmen.

Da sich das Tageslicht im Verlauf des Tages stetig verändert, bestimmt es auch, wie wir uns fühlen, wie agil oder entspannt, wie leistungsfähig oder unkonzentriert wir sind. Wir alle sind chronobiologisch auf die Intensität und den Winkel der Sonneneinstrahlung geeicht. Licht ist Lebensenergie. Es lässt uns und alle anderen heliotropen, also sonnwendigen Wesen, regelrecht «erblühen» bzw. steuert Abläufe im Körper. Ich erinnere mich noch gut an meine Studienzeit in Kopenhagen, als ich in den Sommermonaten so unglaublich aktiv und wach war, weil es einfach kaum dunkel wurde. Im Winter war das ganz anders. Doch auch wenn man in den nördlichen Breitengraden den Winter-Blues kennt, brauchen wir grundsätzlich das Abnehmen und die Absenz von Tageslicht, damit wir uns in der Dämmerung und Dunkelheit erholen und regenerieren können.

«Farben zu sehen, also zu erleben, gefällt uns ganz einfach»

Die Rezeptoren im Auge zum Beispiel brauchen die Nacht, um Schäden zu reparieren, die am Tag durch das Sehen entstanden sind. Wenn sie sich erholt haben, können wir tagsüber wieder das gesamte Farbspektrum des Sonnenlichts sehen. Und Farben zu sehen, also zu erleben, gefällt uns ganz einfach. Wir orientieren uns mit ihnen besser in unserer Umwelt, können optische Reize besser unterscheiden und lassen uns auch emotional von Farben hinreissen. Und natürlich gibt es auch hier wieder subjektive Unterschiede, und nicht jede Person mag Farbe. Aber tendenziell finden wir Farbigkeit attraktiv. Ich liebe zum Beispiel diesen faszinierenden Prismeneffekt, wenn sich ein Lichtstrahl in seine verschiedenen Farben aufspaltet. Regenbögen machen einfach gute Laune! Wahrscheinlich sind es nicht die Regenbögen im Besonderen, sondern das Prinzip der Schönheit an sich, das uns erfreut.

Schönheit liegt bekanntlich im Auge der Betrachterin oder des Betrachters. Es liegt aber auch in unser aller Natur, das für uns Schöne zu suchen. Und dazu gehört dann wiederum aus ganz biologischen Gründen sich am Leben im Tageslicht zu erfreuen. Das dynamische Tageslicht ist die Umgebung, die wir Menschen brauchen, und deshalb suchen wir das Tageslicht auch in Innenräumen. Hier sind natürlich Fenster der entscheidende Faktor: Grösse, Ausrichtung und die Durchlässigkeit sind enorm wichtige Parameter.

Inwiefern trägt die Aussicht durch Fenster zur Gesamtatmosphäre eines Raums bei?

Der freie Blick nach draussen ist nicht umsonst in DIN-Normen geregelt. Es ist gut erforscht, dass der Bezug zu den Verhältnissen draussen die biologische Uhr ständig kalibriert, Aufschluss über die Tageszeit gibt und natürlich auch Informationen darüber, ob die Umgebung für uns sicher ist. Wenn wir uns sicher fühlen, fühlen wir uns auch wohl. Die Aussicht ist nicht nur präventiv und ganzheitlich gesundheitsfördernd, sondern lässt auch kranke Menschen schneller genesen.

Auch die Konzentrationsfähigkeit ist höher, wenn wir in die Ferne blicken können. Das haben zum Beispiel Studien mit Schulklassen belegt. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir als Lebewesen für das Leben in der Natur geschaffen wurden und nicht für das Leben in geschlossenen Räumen. Das kann ich aus eigener Erfahrung berichten. Ich unterrichte freitags an der Hochschule Luzern in Emmenbrücke «Spatial Design», und wir haben ein Atelier mit einer riesigen Fensterfront zum Pilatus hin. Der Berg ist mit all seinen veränderlichen Wetterlagen und Lichtverhältnissen buchstäblich im Innenraum präsent. Ich freue mich die ganze Woche auf diesen Ausblick. Natürlich ist es nicht nur der Pilatus, der mir im Atelier Freude bereitet, aber Sie verstehen sicher, was ich meine. Architektur haben wir als Spezies sozusagen erst kürzlich erfunden. In unserer modernen Gesellschaften verbringen aber mittlerweile bis zu 90 % unserer Zeit in Innenräumen, was eigentlich gar nicht artgerecht ist. Umso wichtiger ist es, dass diese Architekturen durchlässig sind und uns nicht von unserer Umwelt abschneiden. Schon in der Antike plante man übrigens Gebäude nach dem Sonnenstand und mit klugen Durchblicken, wie man in den Werken von Vitruv nachlesen kann. Die alten Römer bauten sich Häuser mit einem Atrium, einem Lichthof, der oft mit einem Wasserspiel ausgestattet war. So hatten sie eine schöne Aussicht auch ohne Sicht nach draussen. Ein Trick den man noch heute anwendet, z. B. in tiefen Bürogebäuden.

Das Bewusstsein für Qualität, Natürlichkeit und nachhaltige Materialien hat stark zugenommen. Welche Entwicklungen werden Ihrer Meinung nach die Art, wie wir wohnen, leben und arbeiten, zukünftig beeinflussen?

Der Megatrend Neo-Ökologie ist bereits spürbar, und ich persönlich gehe davon aus, dass er noch mehr an Kraft gewinnen wird, weil es aus Gründen des Ressourcenverbrauchs gar nicht anders gehen wird. Bei der Raumgestaltung ist der Trend des Minimalismus bereits bekannt, demzufolge man weniger Konsumartikel ansammelt und sich auf ausgesuchte Dinge konzentriert. Ich denke, dass ist eine gute Haltung. Eine strikt minimalistische Raumgestaltung passt jedoch nicht für jede Person. Minimalismus sollte kein Dogma sein und ist es jedenfalls für mich auch nicht. Menschen lieben schöne Dinge einfach zu sehr. Und es geht vielleicht auch nicht darum, minimal wenige Dinge zu besitzen, sondern darum, maximal viele Dinge wiederzuverwenden und im Kreislauf zu belassen. Ich möchte mich in einem Umfeld aufhalten, das mir guttut, und dazu brauche ich schöne Dinge. Circular Economy und Circular Design sind für mich die massgeblichen Schlagworte, deren bahnbrechenden Durchbruch ich uns für die Zukunft schon in der Gegenwart wünsche. Ich glaube, wir kommen zurück zum Bewahren, Teilen, Tauschen und Wiedereinsetzen von Dingen. Wenn ein Objekt handwerklich gut gefertigt und wunderschön ist, so wird es auch in Ehren gehalten, lange eingesetzt und weitergegeben. Wirklich nachhaltig ist etwas, wenn es so schön ist, dass man es nicht ersetzt. Das gilt für kleinere Objekte wie auch für Gebäude. Wie ich schon ausführte, lieben wir das Licht und empfinden entsprechend von Tageslicht durchflutete Räume als schön. Häuser sollten nicht ersetzt, sondern optimiert werden. Schöne Gebäude werden dann nicht mehr abgerissen, sondern gepflegt und renoviert, sodass sie noch sehr lange wohltuende Atmosphären für die  Bewohnenden und Nutzenden bieten.

 

Teil 1 des Interviews zum Thema «Raum» lesen Sie hier.