Portratifoto Barbara Mutzbauer
Interview mit Dr. phil. Barbara Mutzbauer (Teil 1)

«Unsere Existenz ist räumlich»

Dr. phil. Barbara Mutzbauer ist Creative Director, unterrichtet Atmospheric Design & Living Space Design an der Zürcher Kunsthochschule sowie Spatial Design an der HSLU Design Film Kunst. Mit uns spricht sie über die Wirkung von Räumen und die Anziehungskraft von Design.

(Portraitfotos © Ivan Engler)

Frau Mutzbauer, Sie gelten als Botschafterin für Atmosphäre und sind auf die Wirkung von Räumen spezialisiert. Was bedeutet es, einem Raum Atmosphäre zu geben?

Um es gleich vorwegzunehmen, Atmosphären bedeuten mir unglaublich viel! Denn: Unsere Existenz ist räumlich. Und daher ist die Qualität unseres Lebensraums von existenzieller Bedeutung. Aber es ist nicht ganz unkritisch zu sagen (oder es zumindest so zu verkürzen), dass man einem Raum eine Atmosphäre geben könnte. Atmosphären sind immer und überall vorhanden, auch wenn wir sie nicht wahrnehmen. Man kann die Atmosphäre aber verändern. Und zwar sehr stark, je nachdem, welche gestalterischen Mittel eingesetzt werden. Somit kann ich als Designerin unter Umständen auch starken Einfluss auf die Befindlichkeit von Menschen nehmen, denn diese befinden sich später in den gestalteten Räumen. Das ist eine wahnsinnig schöne und auch verantwortungsvolle Aufgabe. Daher bedeutet sie mir sehr viel.

Wie Atmosphären sind und wahrgenommen werden, ist sehr vielschichtig und subjektiv. Während Sie diese Zeilen lesen, befinden Sie sich in einer Atmosphäre, sei es in der Natur, unterwegs, im Büro oder zu Hause. Haben Sie sie heute schon bewusst wahrgenommen? Wie würden Sie sie jetzt gerade in diesem Moment beschreiben? Eher angenehm oder unangenehm? Wenn Sie versuchen, das differenziert zu beschreiben, werden Sie feststellen, dass das gar nicht so einfach ist. Es ist kaum möglich, die vielschichtigen Phänomene und emotionalen Aspekte in eine eindeutige Sprache zu fassen, sodass eine andere Person sich genau das Gleiche vorstellen kann. In der Ästhetik versteht man unter einer Atmosphäre eine Raumstimmung, die sich zwischen dem Raum als solchem und uns, die wir ihn wahrnehmen, entwickelt.

Atmosphären sind Phänomene, die sich nur schwer eindeutig fassen, definieren oder gar genau planen lassen …

… weil sie sich der klassischen Messbarkeit und somit der kategorischen Vorhersehbarkeit entziehen. Das macht sie eigentlich nicht gerade zum Freund von Designerinnen und Designern, sondern eher zu einem unangenehmen Gestaltungselement. Denn bei der Raumplanung will man ja  mit Konstanten operieren, um die gewünschte Wirkung für die Kundin oder den Kunden zu erzielen. Da man aber die späteren Nutzenden und alle erdenklichen Situationen nicht komplett kontrollieren kann, bleibt immer eine Unschärfe. Gerade diese Unschärfe finde ich sehr spannend. Man darf es sich als Gestalterin oder Gestalter auf jeden Fall nicht zu einfach machen und die Atmosphäre ausblenden, um sich nur auf das Objektive und die Funktionen zu verlassen. Dann würde man das Menschliche ausblenden. Atmosphären verdienen allein schon wegen ihrer Gegenwärtigkeit professionelle Aufmerksamkeit. Ihre enorme Wirkungskraft auf unsere Stimmung macht sie für mich zum wichtigsten Aspekt unserer räumlichen Umwelt.

Welche Gestaltungsprinzipien oder Designrichtlinien in Bezug auf eine positive Raumwirkung können Sie empfehlen?

Ich möchte hier keine allgemeinen Richtlinien aufzählen. Denn so vielfältig die Situationen und Bedürfnisse sind, so individuell müssen auch die Lösungen sein. Zumal sich ein Raum aus sehr vielen Komponenten zusammensetzt, von den geometrischen und architektonischen Dimensionen und Beschaffenheiten über die immobilen Einbauten und die mobileren Objekte bis hin zu allen vorgesehenen und unvorhergesehenen Funktionen. Gutes Design hat jedoch viel mit Prinzipien und Haltung zu tun. Eine positive Raumwirkung für die Nutzenden wird dadurch definiert, dass alles vorhanden ist, was sie benötigen. Es sind also die Bedürfnisse. Diese müssen Gestalterinnen und Gestalter nicht nur berücksichtigen, sondern vor allem erst einmal wirklich kennen. Um die Wünsche, Sehnsüchte und Anforderungen meiner Zielgruppen oder Kundschaft zu kennen, muss ich empathisch vorgehen und mich einfühlen können. Dazu gehört auch, ein Briefing zu hinterfragen und herauszufinden, ob die genannten Bedürfnisse bereits reflektiert und ausreichend evaluiert wurden. Um durch das ideale Zusammenspiel von Architektur, Objekten, Farben, Formen, Materialien, Licht etc. bis hin zum Menschen die jeweils optimale Wirkung zu erzielen, ist Empathie mein favorisiertes Gestaltungsprinzip.

Was kann man falsch machen, wenn es um die Wirkung von Räumen geht?

Ein No-Go wäre es, eine Raumgestaltung nicht als Design für Menschen zu verstehen, sondern als Kunstobjekt, das der Gestalterin oder dem Gestalter entsprechen soll. Natürlich möchte ich Projekte schaffen, die auch mir gefallen und die meine Handschrift tragen, insofern ist mein Anspruch an das, was man «Schönheit» nennt, vorhanden. Aber weder mein Geschmack noch meine Meinung sind hier zentral. Im Mittelpunkt stehen die Menschen, die in diesen Räumen arbeiten, spielen, lernen oder leben werden. Für sie bin ich da und für sie entwerfe ich mit der entsprechenden Professionalität.

Schon der griechische Lebensphilosoph Diogenes von Sinope wusste, wie wenige Dinge wir wirklich brauchen und wie sehr wir auf unsere natürlichen Bedürfnisse achten sollten. Diogenes selbst schrieb nicht, sondern lebte seine Philosophie in Form von Handlungen und Taten. Diese wurden dann von anderen in Form von lehrreichen Geschichten überliefert. Die wohl bekannteste Anekdote über Diogenes stammt von Cicero. Sie besagt, dass Alexander der Grosse dem Philosophen in der Tonne anbot, ihm jeden Wunsch zu erfüllen. Worauf Diogenes nur antwortete: «Geh mir aus der Sonne». Ob Diogenes die wohltuende Wirkung des Tageslichts spürte oder Cicero uns sagen will, dass wir uns nur auf das Wesentliche konzentrieren sollen? Ich denke, beides!

 

Teil 2 des Interviews zum Thema «Licht» lesen Sie hier.