Weisses Hochhaus mit grossen Fenster und blauem Himmel
Das Fenster

Im Wandel der Zeit

Fenster, ihre Formen und Beschaffenheit, haben sich von der Antike bis in die Neuzeit laufend weiterentwickelt. Das macht sie zu faszinierenden Zeitzeugen historischer Baustile und technologischer Entwicklungen.

Das Fenster im Wandel der Zeit: Historisches Gebäude von Kłodzko Chrobrego

Quelle: wikimedia commons (wikimedia.org)

Öffnungen in der Wand gehören seit Anbeginn der Menschheit zu jeder Art von Behausung dazu. Sie ermöglichen das Betreten und Verlassen, sorgen für Frischluftzufuhr, lassen Licht ins Innere oder den Rauch vom Feuer nach draussen. Bei den ersten Steinhäusern
war der Eingang die einzige Frischluft- und Lichtquelle, ergänzt durch kleine Öffnungen als Rauchabzug in der oberen Hälfte der Wand. Als eine Art primitive Fensterläden dienten Tierhäute, Pergament oder Leinenstoff. Die Germanen verwendeten für diese Wandlöcher den Begriff vindauga, was so viel heisst wie «Windauge». Dieser Ursprung findet sich noch heute im Englischen window.

Glasfenster als Statussymbol

In der Antike besassen in erster Linie die Thermen der Kaiserzeit Glasfassaden, die auch bereits mehrere Quadratmeter gross sein konnten. Für das Fensterglas, genannt specularia, wurde flüssiges Glas in circa 40 mal 40 cm grossen Sand- und Holzformen ausgehärtet. Diese Flachgläser hatten wellige Ränder und waren trüb. Im privaten Wohnbau wurden Fensterscheiben ab dem 2. Jahrhundert nach Christus zu einem gut sichtbaren Statussymbol.

Mondglasfenster und Erker

Die Bauweise der Romanik ab 950 erlaubte anspruchsvollere Fensterformen. Diese brachten aber noch kaum Licht ins Innere. Erst nebeneinander angeordnete Fenster verbesserten die Lichtverhältnisse. Glasfenster blieben nach wie vor der Kirche und der wohlhabenden Oberschicht vorbehalten. Die älteste Technik der Fensterglasherstellung ist das Schleudern erhitzter Glaskugeln an der Glasmacherpfeife zu Mondglas. Dabei entstanden kreisrunde Scheiben bis zu einem Durchmesser von 1,2 m. Produktionsbedingt wies das Mittelstück der Scheibe eine Verdickung auf, den sogenannten Butzen. Neben repräsentativen Fensteröffnungen verfügten zahlreiche Burganlagen des Mittelalters über Fensternischen oder Erker. Diese Mauerausbuchtungen besassen oft die Grösse von kleinen Zimmern mit eingelassenen Fensterbänken und dienten primär der Verteidigung. Erker an den Gebäudeecken erweiterten den Blickwinkel auf das Geschehen um die Burg und an der Fassade auf 270 Grad. In der Spätgotik und Renaissance diente der Stubenerker als Erweiterung der Wohnfläche, zur besseren Belichtung der Räume und als künstlerisches Gliederungsmotiv der Fassade.

Das Rechteckfenster ab der Renaissance

Das Rechteckfenster ab der Renaissance Aufwendiger und anspruchsvoller präsentierte sich das Fenster in der Renaissance im 15. und 16. Jahrhundert. Architekten schenkten Proportionen und Massen zunehmend Beachtung und betonten vermehrt horizontale und vertikale Linien. Das Rechteckfenster wurde damit zum dominierenden Element der Fassadengestaltung. Steinstützen dienten der Stabilisierung und erlaubten eine Unterteilung in kleine Felder für Festverglasungen oder bewegliche Schiebeflügel. An zahlreichen italienischen Renaissancepalazzi lässt sich noch heute ablesen, dass in jener Zeit vermehrt Rechteckscheiben zum Einsatz kamen, meist aber nur im oberen Teil der Fensteröffnungen. Gegen Mitte des 17. Jahrhunderts wurden repräsentative Gebäude vermehrt in einzelne Fensterachsen unterteilt und damit die Hauptachse sowie wichtige Gebäudeteile betont. Dies änderte sich auch im Barock nicht. Anstelle von Steinstützen wurden aber vermehrt Quer- und Längshölzer eingesetzt. Der Nutzen blieb der Gleiche: Stabilisierung und Unterteilung der Fenster. Mit speziellen Winterfenstern bzw. Vorfenstern wurden zudem erste Versuche unternommen, die Wärmedämmung zu verbessern. Auch stellte man sich die Frage, wie Fenster besser vor Regen oder Kälte schützen können. Diese Überlegungen veränderten die Konstruktion der Fenster, da sie nicht mehr als Teil der Gesamtarchitektur, sondern als Einzelelement betrachtet wurden.

Fenstersteuer, Industrialisierung und Moderne

Ab 1798 galt in Frankreich zur Besteuerung der Bourgeoisie die sogenannte Fenstersteuer. Die Logik dahinter: Wer auf Repräsentation setzt, besitzt mehr Fenster und hat entsprechend mehr Geld. Um diese Besteuerung zu umgehen, entstanden immer mehr Blindfenster. Das nachträgliche Zumauern von Fensteröffnungen führte insbesondere in ärmeren Stadtvierteln zu grotesken Zuständen. In England wurde die zunehmend unbeliebte Steuer 1851 abgeschafft. Ein «Überbleibsel» ist ein 2016 in Portugal erlassenes Gesetz, in welchem Fenster mit angenehmer Aussicht zu einer höheren Immobiliensteuer führen. Nicht nur die Fensterflächen wurden in der Zeit der Industrialisierung immer grösser, auch entwickelten sich gleichzeitig die Herstellungsmethoden für Fensterglas: Das Walzglasverfahren ist zum ersten Mal 1688 in Saint-Gobain, der Keimzelle des heutigen Weltkonzerns, dokumentiert. Mit der Entwicklung von Stahlkonstruktionen wurde immer mehr grossflächiges Glas verbaut. Auch die botanischen Glashäuser und Orangerien waren imposante Konstruktionen aus Glas und Stahl. Diese Bauweise erlebte im Crystal Palace von Joseph Paxton für die erste Weltausstellung 1851 in London einen Höhepunkt: Im Kristallpalast wurden 83’600 m2 Glas, 330 km Glasrahmen und 17’000 m3 Holz verbaut. Vor dem Hintergrund der immer grösseren Glasflächen erstaunt es, dass das Floatglasverfahren erst 1952 erfunden wurde. Die komplette Verglasung einer Fassade findet sich dagegen bereits im Werkstattflügel des Bauhausgebäudes in Dessau von Walter Gropius (1926). Gleichzeitig führten die Architekten der Moderne in den 1920er- und 1930er-Jahren eine heftige Debatte um die Fassadengestaltung und -rhythmisierung mittels Fensterflächen. So warf der Pariser Architekt Auguste Perret dem Schweizer Architekten Le Corbusier vor, seine Fensterbänder und grossen Fenster nur als reine Fassadenspielerei zu betreiben, ohne Berücksichtigung des Lichts im Innenraum. Dass vereinzelte Fensterflächen an der Fassade das Licht in den Räumen nicht aussperren, wenn sie gezielt gesetzt sind, bewies eindrücklich Adolf Loos in seinem Haus Müller in Prag (1928–30). Die kubische, kompakte und von aussen hermetisch wirkende Villa zeigt im Innern durch eine offene Grundrissgestaltung ein hohes Mass an Tageslichteinfall.

Das Fenster im Wandel der Zeit: Historisches Gemälde von Glasern bei der Fensterrahmung

Seit der Spätgotik dient der Erker als Erweiterung des Wohnraums sowie der Fassadengliederung: Zeichnung eines Erkers von Pearson Scott Foresman, Glaser bei der Fensterrahmung 1833 von Jacob Eberhard Gailer. (Quelle: wikimedia commons (wikimedia.org))

Luft, Licht und Öffnung

So oder so drehte sich im Neuen Bauen der Moderne vieles um den optimierten Tageslichteinfall bei Wohnhäusern. Im Sinne einer sozialen Volksgesundheit wurde es in den 1920er-Jahren immer wichtiger, Licht und frische Luft in die Wohnräume zu bringen und mittels Schiebetüren auf (Dach)terrassen auch die Nutzung des Aussenraums zu fördern. Der Schweizer Kunsthistoriker Siegfried Giedion forderte beispielsweise in seinem Manifest «Befreites Wohnen» von 1929, dass ein Haus «leicht, lichtdurchlässig und beweglich sein» müsse. Das Haus dürfe nicht wie ein Korsett sein. Es müsse den Kontakt mit Boden, Himmel und Aussenwelt ermöglichen. 1945 lancierte die renommierte Kunst- und Architekturzeitschrift Arts & Architecture das Programm der Case Study Houses mit dem Ziel, mittels neuster Bautechnologien und Vorfabrikation Häuser mit Vorbildfunktion zu fördern. Die meist in Stahl und Glas errichteten Häuser mit raumhohen Panoramafenstern, wie etwa das Case Study House #22 in Los Angeles von Pierre Koenig (1960), lieferten das Vorbild für die modernen Wohnvorstellungen und -wünsche der westlichen Mittelschicht. Die Ölkrise nach 1972 versetzte dem Panoramafenster allerdings einen gehörigen Dämpfer, da die Isolationswerte aufgrund der Einfach- oder Zweifachverglasung katastrophal waren.

Heute: Fast alles ist möglich

Erst die massiv verbesserten Dämm- und Isolationswerte heutiger Fenster können den Wunsch nach Tageslicht und einer Verschmelzung von innen und aussen effizient erfüllen. Wo auf der anderen Seite auch ein Bedürfnis nach intimeren und introvertierten Räumen besteht, vermag eine gute Architektur die gegensätzlichen Ansprüche miteinander zu verbinden. Sie wird unterstützt durch die vielfältigen Produkte von 4B.