Dr. David Bosshart beim Referat am VIP-Anlass

Über graue Energie und eine grüne Zukunft für die Baubranche

Die Bau- und Fensterbranche steht vor grossen ökologischen Herausforderungen. Dazu haben wir den renommierten Zukunftsforscher Dr. David Bosshart befragt, welchen Beitrag die Branche für nachhaltiges Bauen leisten kann. Im Interview erzählt er uns, welche Entwicklung nötig ist, damit die Schweiz ihr Ziel der Klimaneutralität bis 2050 erreichen kann.

Interview mit Zukunftsforscher Dr. David Bosshart

 

Weniger Autofahren und Fliegen und auf erneuerbare Energiequellen setzen – tagtäglich wird über Massnahmen zur Eindämmung des Klimawandels gesprochen. Was sind die grössten Emissionsherde der Baubranche?

Zunächst: Nachhaltigkeitsfragen werden zurecht intensiv diskutiert – wir sehen aber auch, dass wir permanent Neues dazulernen und sich damit Aufmerksamkeit, Prioritäten und Schwerpunkte ändern. Wir wissen heute aus Studien zwar viel besser, dass ökologische, soziale, ästhetische, technologische Faktoren ineinandergreifen und wir ein ganzheitliches Bild der Nachhaltigkeit brauchen. Aber das Bewusstsein der gegenseitigen Abhängigkeiten ist in einer Silo-Welt, wie wir sie aus der industriellen Zeit übernommen haben, noch ganz am Anfang. Emissionen sind nur das Resultat eines funktionierenden oder eben nicht funktionierenden Zusammenspiels dieser Faktoren. Das viele neue Wissen ist allerdings nicht nur ein Segen, sondern auch ein Hindernis für schnelleres Handeln. Und kommt den Bremsern entgegen, die noch ein Gegengutachten einholen. Wir müssen auch sorgfältig aufpassen, dass wir nicht in die «Greenwashing»-Falle tappen. Dieses Thema ist vor allem auf den sehr wichtigen Kapitalmärkten nun virulent geworden.

Sicher ist allerdings, und da nähern wir uns der Baubranche: Beton bzw. Zement, Stahl und Plastik bzw. Kunststoffe sowie Ammoniak sind die wichtigsten Grundpfeiler der modernen Zivilisation und unserer Lebensweise. Sie alle basieren auf fossilen Brennstoffen und können nur sehr langsam ersetzt oder mit emissionsärmeren Materialien ergänzt werden. Unser ganzes Leben, also auch die ganze Wirtschaft, ist im Kern ein Energiekonversions-System. Wir haben zwar mehr Wachstum bei den erneuerbaren Energien, aber in absehbarer Zukunft auch bei den fossilen Energieträgern.

«Man kauft dann halt doch lieber ein Elektroauto, als dass man das Dach oder die Fenster saniert, weil die Medien permanent die Benziner und Dieselfahrzeuge im Visier haben.»

Geht dabei die Baubranche vergessen? Oder ist das Thema noch nicht angekommen?

Die Baubranche war bislang wenig im Vordergrund, weil sie den Menschen im alltäglichen Ablauf nicht auffällt oder in die Quere kommt: Mobilität oder Fleisch- und Lebensmittelabfall sind leichter emotionalisierbar. Es genügt nicht, dass die Fakten den Spezialisten bewusst sind – die Einsparpotenziale und der persönliche und gesellschaftliche Gewinn müssen im Bewusstsein der Menschen verankert werden. Kommunikationstechnisch bestehen die Nachhaltigkeitsgruppierungen aus vielen Lobbyisten und Besorgten, aber sie sind zu wenig in der Lage, den sog. Narrativ festzulegen, also die vielfältigen Geschichten zu einer guten Story zusammenzufassen, die bei den Menschen zu einem bewegenden und handlungsauslösenden Thema werden. Man kauft dann halt doch lieber ein Elektroauto, als dass man das Dach oder die Fenster saniert, weil die Medien permanent die Benziner und Dieselfahrzeuge im Visier haben. Und wenn der Vermieter ohne Druck und Einsicht in den Wandlungsbedarf noch zuwarten kann, dann wartet er halt zu. Es sind also auch Wohlstandsphänomene, in der jeder nach seinen persönlichen Vorstellungen handelt. Der Preis der Freiheit wäre die freiwillige Einsicht in den Handlungsbedarf.

Dr. David Bosshart von hinten bei seinem Referat am VIP-Anlass der 4B

Klimaneutralität – das ist das Ziel der EU wie auch der Schweiz für 2050. Um die Pariser Klimaziele zu erreichen, müsste auch der Bausektor seine Emissionen in den kommenden zwei Jahrzehnten auf Null senken. Ist das überhaupt möglich? Wo sehen Sie das grösste Potenzial, um Emissionen beim Bauen senken zu können?

Wenn es sich lohnt, wie der Stand der heutigen Diskussionen suggeriert, die Sanierungs-potenziale bei älteren Gebäuden zu heben und dabei bei der Sanierung von Dächern und der Erneuerung von Fenstern rasch vorzugehen, weil damit der Bedarf an Heiz- und Kühlenergie um 20 oder gar 30 Prozent reduziert werden kann, dann müsste man das auch entsprechend priorisieren und fördern.

Immobilien werden auch in der Krise attraktiv bleiben und eine hohe Nachfrage kennen. Aber das Verhalten bei ökologischen Themen ist nicht konsistent. Beispiel: Leider haben in den letzten paar Jahren nur sehr wenige Immobilieninserate den Heizungstyp angegeben. Gemäss ZKB sind es bei Mietwohnungen 3%, bei STW-Eigentum 10%, bei EFH 13% – und das im Schnitt von 2015-2022. Angebote mit fossilen Heizungen werden öfters angeklickt wegen des tieferen Preises. Energie sollte günstig verfügbar, aber nicht billig sein. Etwas brutal und provokativ gefragt: brauchen wir zuerst einen Verrückten wie Putin, der den Europäern den Gashahn abdreht, bis wir die Augen öffnen? Warten wir, bis es zu spät ist, weil unsere Nachbarn auch warten?

 

Inwiefern haben nachwachsende Materialien (wie z.B. Holz) einen Einfluss auf den ökologischen Fussabdruck eines Gebäudes?

Auch das ist eine recht komplexe Frage. Holz z. B. ist nunmehr seit vielen Jahren ein Trendprodukt, gilt als natürlich, lebendig, wird mit Nähe assoziiert und hat emotionale Vorteile: Wenn ich im Engadin eine Wohnung miete oder kaufe, die viel Holz hat, gehe ich einfach davon aus, dass das alles lokal gewachsen, produziert und verarbeitet wurde. Und dass die Aufforstung sowieso stattfindet, also was geschlagen wurde, auch ersetzt wird. Wie genau die Verarbeitung war, mit welchen Chemikalien gearbeitet wurde, ob die bestimmte Holzart sich schnell, langsam oder nur schwerlich regeneriert oder ob es gar keinen Ersatz gibt, weil die Fläche umgenutzt wird, ist dann kein Thema mehr. Hilfreich ist sicher die Transparenz und lückenlose Rückführbarkeit, hier gibt es ja gute Ansätze. Aber wenn am Schluss ein Produkt deutlich billiger ist, jedoch mit vergleichbarer Qualität, wie wichtig ist dann noch 100 % Swissness? Genügen auch 80 oder 60 %? Wir haben ja bei vielen Markenartikeln gesehen, wie schwierig es ist, konsequent zu sein. Oder vergleichen Sie die lokalen Äpfel. Sie gelten als gesünder, weil sie aus der Region sind und ich den Produktions- und Ernteprozess nachverfolgen kann bzw. heute mit der App den Bauern kennenlernen kann, der für die Produktion verantwortlich ist. Dass aber der Apfel auch mehrere Monate gekühlt gelagert wurde, und damit in Summe mehr Emissionen verursachen kann als der aus Übersee, wird dann beim Kauf grosszügig diskontiert. Die Chinesen z. B. bevorzugen beim Bau von Alleen schnellwachsende Bäume. Wachsen sie nicht schnell genug, werden sie ausgerissen und durch neue, andere Bäume ersetzt.

Ein Blick in die Glaskugel der Baubranche: Dr. David Bosshart bei seinem Referat am VIP-Anlass der 4B

Am wenigsten CO2 und Energieverbrauch resultiert, wenn man gar nicht neu baut, sondern Bestandsbauten weiterverwendet und energetisch optimiert. Welche Sanierungsmassnahmen sollten dabei prioritär behandelt werden?

In den heutigen komplexen Zeiten müssen wir sehr pragmatisch und manchmal sogar auch etwas opportunistisch vorgehen. Wo gibt es tiefhängende Früchte, was kann ich schnell und wirksam umsetzen, aber nachweislich einen sowohl gefühlten wie auch faktisch ausweisbaren Kundennutzen erzielen? Was sind die anspruchsvolleren Themen, für die ich einen langen Atem brauche und für die ich permanent Aufmerksamkeit gewinnen muss im Sinne von steter Tropfen höhlt den Stein?

 

Wie steht es um die graue Energie beim Import der Rohstoffe, der Herstellung im Aus- oder Inland, dem eigentlichen Produktionszyklus, der Energie-Versorgung der Produktion?

Das ist eines der Hauptherausforderungen unserer reichen westlichen Welt. Wir bilanzieren gerne nur die Fertigprodukte oder die anfallenden Emissionen im eigenen Land und betrachten die ganze Wertschöpfungskette nur selektiv. Wir stehen dann gegenüber anderen Nationen besser da, aber die haben die Vorleistung erbracht.

 

Können eine hohe Qualität, einwandfreies Design und Nachhaltigkeit (z.B. bei Bauteilen wie Fenstern) wirklich in Einklang gebracht werden?

Selbstverständlich. Warum denn nicht?

 

Mit intelligenten Gebäuden werden der Energieverbrauch gesenkt und die Emissionen verringert. Sind intelligente Bauten die Zukunft?

Wir sprechen nun seit über 10 Jahren immer wieder von intelligenten Gebäuden – die Ideen sind wichtig, aber wir machen praktisch nur langsame Fortschritte. Nebst der technischen Reife muss auch die soziale Akzeptanz vorhanden sein. Das heisst: man muss eine ganze Liste von Bedürfnissen befriedigen: nach Sicherheit (z. B. Schutz vor Hackern), Convenience (kluge Vereinfachungen für Bedienung), sofortige Kundenassistenz bei Bedarf oder auch Reduktion von Vertrauenskosten.

 

Innovationen oder zukunftsträchtige Produkte und Dienstleistungen werden meist mit jungen Unternehmen oder gar Start-Ups in Verbindung gebracht. Kann eine Firma wie 4B, die seit 125 Jahren existiert, überhaupt innovativ sein?

Selbstverständlich. Das liegt ja gerade in der DNA von 4B. Sie haben eine sich gut entwickelnde Marke im Hintergrund, und das hilft, Vertrauensvorschuss zu erwirtschaften. Die Erwartungen steigen allerdings auch, und das muss anspornen zu noch besseren Leistungen. Wenn Sie eine Innovation auf den Markt bringen, hat das bei den Kunden Gewicht. Sie haben als Firma in der Schweiz eine respektable Grösse und werden ernst genommen, sind aber noch kein anonymer Grosskonzern, der nach abstrakten Erfolgskriterien arbeitet – der Erfolgsfaktor besteht immer noch in den menschlichen Beziehungen. Und schliesslich: sie sind in der Lage, gewisse Margen durchzusetzen . . .

 

Vielen Dank, Herr Dr. Bosshart, für das Interview.

Portraitfoto von Dr. David Bosshart

Dr. David Bosshart

Dr. David Bosshart ist Zukunftsforscher und war von 1999 bis 2020 CEO des GDI Gottlieb Duttweiler Institute for Economic and Social Studies. Heute ist er Präsident der Gottlieb & Adele Duttweiler Stiftung und Inhaber von „Bosshart & Partners“ sowie Mitglied im Advisory Board Member in Retail. Der promovierte Philosoph ist Autor zahlreicher internationaler Bücher und Publikationen sowie weltweit als Referent gefragt. Seine Arbeitsschwerpunkte sind die Zukunft des Konsums und gesellschaftlicher Wandel, Management und Kultur, Globalisierung und politische Philosophie.